Personen | Treffen/Publikationen | Fotografien | Intern | |
|
||||
Sie sind hier: Homepage → Treffen → jusla-25 XXV. JungslavistInnen-Treffen 2016 in Göttingenvom 13. bis 16. September 2016 am Seminar für Slavische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen Beim ›silbernen‹ JungslavistInnen-Treffen waren auch alle ehemaligen Mitglieder eingeladen. Ausnahmsweise ging das Treffen daher über 2½ Sitzungstage mit insgesamt 21 Vorträgen, dafür entfiel der Ausflugstag. Gehaltene VorträgeTagungsbericht von Uwe Junghanns, Hagen Pitsch und Genia BöhnischVom 13. bis 16. September fand in Göttingen das 25. JungslavistInnen-Treffen statt. Ausrichter war das Seminar für Slavische Philologie der Georg-August-Universität. Die 21 Beiträge des Treffens behandelten Themen der Syntax, Semantik, Pragmatik, Typologie, Soziolinguistik, Mehrsprachigkeitsforschung, lexikalische Fragen sowie Probleme der Informationsstruktur, des Spracherwerbs, des Sprachkontaktes, der Sprachpolitik, der Identitätskonstruktion im Diskurs und internetbasierter Kommunikation wie auch kulturwissenschaftlich grundierte Phänomene. Tanja Anstatt (Bochum) beleuchtete in ihrem Vortrag »›Sie versteht alles, aber sie spricht nicht‹: Rezeptiver Bilingualismus als Erscheinungsform der slavisch-deutschen Mehrsprachigkeit« anhand einiger Fallstudien dieses weit verbreitete und dennoch kaum erforschte Phänomen. Sie diskutierte einerseits soziolinguistische Aspekte (auch bei rein rezeptiven Fähigkeiten kann die Herkunftssprache eine wichtige Rolle für die Identität spielen), andererseits die Frage nach dem Umfang des Sprachverstehens, für das sie Testverfahren und Hypothesen präsentierte. Petr Biskup (Leipzig) diskutierte in seinem Vortrag »Identitätslesart in slavischen Koordinationskonstruktionen« Interpretation und Kasussynkretismus. Neue Daten wurden präsentiert, die für die meisten modernen Ansätze problematisch sind. Zum Beispiel wurde gezeigt, dass im Gegensatz zu der in der Literatur häufig vertretenen Meinung die Nichtidentitätslesart in Koordinationskonstruktionen mit bewegtem Element kein seltenes Phänomen ist. Der Typ der Lesart wird durch verschiedene syntaktische, semantische und pragmatische Faktoren determiniert. Alexander Böhnisch (Göttingen) thematisierte in seinem Vortrag »Russen und Turken im Kontakt« die Möglichkeiten eines turkischen Substrats im Russischen. Im Vortrag wurde auf die Frage eingegangen, in welchem zeitlichen und räumlichen Rahmen es zu einem Kontakt zwischen Ostslaven und Turken gekommen ist, und ob er intensiv genug war, um einen potentiellen Adstrateinfluss auf das Russische denkbar erscheinen zu lassen. Genia Böhnisch (Göttingen) fragte in ihrem Vortrag »Der Einfluss von Emoticons auf die Interpretation schriftlicher Äußerungen«, inwieweit Emoticons für die Interpretation schriftlicher Äußerungen eine Rolle spielen. Um diese Frage zu klären, wurden zunächst verschiedene Studien vorgestellt. Im Anschluss wurden zwei eigene Experimente präsentiert, mit deren Hilfe Emoticons und Interpretation untersucht wurden. Daniel Bunčić (Köln) gab in seinem Vortrag »Ex-Jugoslavische Sprachenpolitik im europäischen Kontext« einen Überblick über die aktuelle sprachenpolitische Situation in Bosnien und Herzegovina, Kroatien, Montenegro und Serbien, mit besonderem Augenmerk auf Amtssprachlichkeit und auf Minderheitensprachen. Es wurde deutlich, dass die vier Staaten an eine gute Tradition jugoslavischer Minderheitenpolitik anknüpfen können und die Europäische Charta hier trotz aller ihrer Probleme auf fruchtbaren Boden fällt. Ernsthafte Probleme gibt es jedoch als Kriegsfolge (z. B. in Vukovar) und bei den Roma. Christina Clasmeier (Bochum) stellte in ihrem Vortrag »Zielona przestrzeń – teren zielony: Zur Wortfolge von Substantiv-Farbadjektiv-Konstruktionen im Polnischen« eine Korpusuntersuchung vor. Im Zentrum stand die Frage, wie häufig sich die Voran- und Nachstellung eines attributiv verwendeten Farbadjektivs bei verschiedenen Typen von Konstruktionen mit Substantiv beobachten lässt. Die Analyse zeigte, dass die Voranstellung nicht nur bei reinen Farbbeschreibungen (czerwona piłka ‘roter Ball’), sondern, anders als erwartet, auch bei Gattungsbezeichnungen (czerwone wino ‘Rotwein’) und Idiomatismen (błękitna krew ‘blaues Blut, Adel’) klar dominiert. Thomas Daiber (Gießen) klärte in seinem Vortrag mit dem Titel »Vita Cyrilli III:1–3. Wer ist die Sophia?« die Bedeutung von съврьсть (III:2) = ‘vermählt’ und betonte die singularische (!) Lesart бисеромь (III:3), denn die ‘Perle’ ist das Symbol Christi als der (Mt 13:45f) zu erwerbenden ‘göttlichen Weisheit’. Die Textstelle beschreibt ikonographisch die Darstellung der thronenden Gottesmutter mit Christus auf dem Schoß, passend zu der Ausführung in der Hagia-Sophia von Thessaloniki. Horst Dippong (Hamburg) legte im ersten Teil seines Vortrags »Slavisch že/~že und Dimensionen der Deixis« die Grundzüge einer nicht-saltationistischen (›standard-evolutionsbiologischen‹) Erklärung der menschlichen Sprachkompetenz dar. Diese manifestiere sich in der schrittweisen Zusammenführung zweier zunächst wechselseitig unabhängiger Kompetenzen, der Verwendung holistischer Signalsysteme zur (lautlichen) Reaktion auf aktuelle Situationen, und der planenden Kompetenz mit ihren situationsabstrahierenden und deaktualisierenden Momenten. Der zweite Teil entwarf in groben Zügen anhand von že/že ein Bild sprachlicher Mittel, die parallel zur Wiedergabe kookkurrierender Momente verwendet werden können, hier der Origo-zugehörigen Deixis und den textstiftenden Konnektoren, mithin eine Perspektive, die nicht die propositionale Seite einer Äußerung in den Mittelpunkt stellt, sondern die sprachlichen Mittel zur Realisierung des modalen Rahmens. Natalia Gagarina (ZAS Berlin) sprach in ihrem Vortrag »Typische, auffällige und gestörte Mehrsprachigkeit. Ist sie der Schlüssel zur Integration?« darüber, dass immer mehr Menschen im Alltagsleben zwei und mehr Sprachen verwenden – sie sind nach Grojean (2010) mehrsprachig. Die Abgrenzung der typischen Mehrsprachigkeit von der auffälligen oder gestörten ist nicht leicht. Eine systematische Forschung zu den Grammatiken der Mehrsprachigen, unabhängig davon, ob sie Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sind, fehlt. Der Vortrag lieferte einen Überblick über die neueren empirischen Befunde zu mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen und setzte sich mit der Frage auseinander, ob die Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Ljudmila Geist (Stuttgart) untersuchte in ihrem Vortrag »Nominale Prädikation: eine kontrastive Analyse Russisch-Deutsch« Prädikatsnomina, die im Russischen im Nominativ oder im Instrumental stehen können, im Deutschen aber mit oder ohne indefiniten Artikel auftreten. Die sprachvergleichende Untersuchung zeigte, dass die semantischen Unterschiede, die in beiden Sprachen markiert werden, auf die Opposition ›partielle/nicht-partielle Prädikation‹ als tertium comparationis zurückgeführt werden können. Dagmar Heeg (Salzburg) betrachtete in ihrem Vortrag »Modalverben in den ältesten tschechischen Texten« die Semantik von Modalverben, die in den allerältesten tschechischen Texten (bis 1300) vorkommen. Dabei wurden Verben untersucht, die bereits im Alttschechischen die Funktion von Modalverben hatten, als auch Verben, die sich erst später im Tschechischen zu Modalverben entwickelt haben. Martin Henzelmann (Dresden) behandelte in seinem Vortrag die »Situative Verwendung des Ukrainischen und des Russischen in der Ukraine«. Nach den Umbrüchen in der Ukraine im Zuge der Majdan-Bewegung ist die ukrainische Gesellschaft so stark polarisiert wie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese Konstellation Auswirkungen auf den Sprachgebrauch hat und ob das Russische bzw. das Ukrainische dadurch selektiver verwendet werden. In Anlehnung an die Studien von G. Hentschel & M. Brüggemann (2015) wurden zweisprachige literarische Textdokumente präsentiert und vor einem linguistischen Hintergrund reflektiert. Edgar Hoffmann (WU Wien) befasste sich in seinem Vortrag mit der »Konstruktion nationaler Identität im postsowjetischen Wirtschaftsdiskurs«. Im Mittelpunkt des Vortrages standen zunächst die Mechanismen der Konstruktion nationaler Identität, die notwendig zu Hybridität von Identität führen. Im Weiteren erörterte er die spezifischen Möglichkeiten der Identitätskonstruktion von drei Bereichen des russländischen Wirtschaftsdiskurses, des Werbe-, Eurasien- und des Namendiskurses. Dabei wird Russland explizit und implizit, intendiert und nichtintendiert, verbal und nonverbal als eine Entität konstruiert, die auf Größe und Tradition beruht und eine eigene Zivilisation bildet, die neben Europa steht und zu Europa gehören will. Damit unterscheiden sich die Identitätskonstruktionen im Wirtschaftsdiskurs beträchtlich von den Vorgaben des Kremls. Uwe Junghanns und Hagen Pitsch (Göttingen) behandelten in ihrem Vortrag »Komplexe Satzstrukturen im Slavischen«. Ausgehend von der klassischen Satzdefinition wurde Rekursion als Grundeigenschaft herausgearbeitet. Strukturbildung, Konnektoren und Modalität zeigen sich als Problemfelder. Satzartige Ausdrücke (Infinitive, Partizipien, Gerundien) wurden diskutiert. Besondere Berücksichtigung fanden der Dativus absolutus (Aksl.) sowie konditionale Infinitive (Cz). Irenäus Kulik (Göttingen) thematisierte in seinem Vortrag »Wie slavisch ist das Polnische? Zur Typologie klitischer Systeme im Slavischen« die in der Literatur anzutreffende typologische Sonderstellung des Polnischen innerhalb der Slavia hinsichtlich seines klitischen Systems. Anhand von Belegen aus dem Polnischen Nationalkorpus (NKJP) und der Literatur wurde gezeigt, dass diese Typisierung nicht ausreichend begründet ist und dass das Polnische typisch slavische Züge zeigt. Holger Kuße (Dresden) stellte in seinem Vortrag »Zur Verteidigung des ›Junggesellen‹. Vom Nutzen der Komponentialsemantik« anhand der Merkmalsemantik von ‘Baum’, ‘Pfeife’ und ‘Junggeselle’ bedeutungsmaximalistische und bedeutungsminimalistische Modelle vor und diskutierte die Unterscheidung von Allgemeinbedeutung und Grundbedeutung als zwei Möglichkeiten semantischer Invarianz. Anna-Maria Meyer (Bamberg) beschäftigte sich in ihrem Vortrag »Spracheinstellungen bei den Bergitka Roma in Polen – ein Experiment mit der Methode ›Experteninterview‹« mit der soziolinguistischen Situation der Bergitka Roma in Polen, deren Romani-Dialekt (L1) unter starkem Einfluss des Polnischen (L2) steht. Vorgestellt wurden die Ergebnisse der dazu im Sommer 2016 in Tarnów und Umgebung durchgeführten Experteninterviews mit Roma und Nicht-Roma. Marianna Novosolova (Dresden) betrachtete in ihrem Vortrag »Die sprachliche Konzeptualisierung des Ukraine-Konfliktes in den offiziellen ukrainischen Medien und in den Medien der selbsternannten Republik Donezk im Vergleich« die aktuelle Konfliktsituation, die seit dem Jahr 2014 in der Ostukraine zu beobachten ist und seitens der Kommunikations-, Medien- und Politikwissenschaftler als Hybridkrieg definiert wird. Im Fokus des Vortrages standen die linguistischen Mechanismen des Hybridkrieges unter besonderer Berücksichtigung der Konfliktnominationen, welche in den Medien eingesetzt werden. Ihr semantischer Inhalt wurde aus der Perspektive unpräziser und devianter Referenzen, der Fantomatique und des Sinnverlustes interpretiert. Teodora Radeva-Bork (Potsdam) untersuchte in ihrem Vortrag »Nichtkanonische Wortstellungen und Objektpositionierung im Slavischen aus der Perspektive des Erstspracherwerbs« nichtkanonische Wortstellungen im Slavischen und besprach den Erstspracherwerb verschiedener Arten von variabler Objektplazierung. Dabei wurden hauptsächlich die Alternationen zwischen Objekt-Verb und Verb-Objekt Konstruktionen sowie die Einordnung von Akkusativ- und Dativobjekten analysiert. Marina Scharlaj (Dresden) thematisierte in ihrem Vortrag »Glamouröser Patriotismus. Politische Rhetorik und populäre Kultur im heutigen Russland« die militärische Potenz und die Stärke Russlands, die seit der Annexion der Krim nicht nur vermehrt diskursiv konstruiert, sondern auch massenwirksam vermarktet werden. Der Vortrag setzte dabei popkulturelle Musikbeispiele in Beziehung zu politischen Reden von V. Putin und konzeptualisierte davon ausgehend popkulturelle Ästhetik und politische Kommunikation entlang der Glamourkonventionen. In der Diskussion wurden auf dieser Grundlage die Grenzen zwischen Propaganda und Unterhaltung, zwischen einer seriösen martialischen Rhetorik und dem übertriebenen Glamour ausgelotet. Katrin Schlund (Heidelberg) beschäftigte sich in ihrem Vortrag »Wortfolgevariation in russischen Elementarkonstruktionen/Adversativen Impersonalen (Typ: ›kryšu [Acc. Sg.] sorvalo vetrom‹)« mit der Frage, welche Funktion(en) die Veränderung der Wortfolge hat. Es wurde untersucht, ob die empirisch zu beobachtende Variation der Wortfolge anhand der informationsstrukturellen Beschreibungsdimensionen Topik vs. Kommentar beschrieben werden kann und inwiefern weitere Dimensionen, vor allem Fokus und Hintergrund, für die Beschreibung notwendig sind. Uwe Junghanns, Hagen Pitsch und Genia Böhnisch: Tagungsbericht zum 25. JungslavistInnen-Treffen: Seminar für Slavische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen 13.–16.09.2016.
Zeitschrift für Slawistik 62 (2017) 2, 339–343.
|