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Sie sind hier: Homepage → Treffen → jusla-16 XVI. JungslavistInnen-Treffen 2007 in DresdenTagungsbericht von Holger Kuße und Claudia RichterDie seit 1992 bestehende Gruppe der JungslavistInnen, welcher Doktorandinnen, Habilitandinnen, Privatdozentinnen und Professorinnen der slavistischen Sprachwissenschaft angehören, kam vom 20. bis 22. September 2007 zu ihrem 16. Jahrestreffen in der Brücke-Most-Stiftung in Dresden zusammen. Die Tagung wies wieder ein breites Spektrum von Beiträgen aus der synchronen und formalen Linguistik, der Semantik, der Sprachgeschichte sowie der Sprachentwicklung und Didaktik auf.. Sechs Vorträge waren der diskurs- und soziolinguistischen Beschreibung der Slavia heute gewidmet. Einem angewandten Bereich der slavistischen Linguistik wandte sich Horst Dippong (Hamburg) mit seinem Beitrag »Probleme und Erfahrungen in der computergestützten Arbeit an Texten in slavischen Sprachen« zu. Im ersten Teil des Vortrags ging er der Frage nach, inwiefern der Computereinsatz lediglich eine bequeme Fortführung traditioneller Arbeitsweisen darstellt. Im zweiten Teil wurden Font- und Schriftsystem-Probleme thematisiert, während der dritte Teil einer Analyse typischer Fehler gewidmet war, die selbstgemachte Datenbanken in »Datengräber« verwandeln. Probleme und Erfahrungen in der Computer-gestützten Arbeit an Texten in slavischen Sprachen.
Innerhalb des Themenbereichs von Spracherwerb und Didaktik sprach Elena Dieser (Tübingen) über den »Genuserwerb des Russischen und des Deutschen bei ein- und zweisprachigen Kindern und Erwachsenen« und zeigte Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Fälle bei verschiedenen Erwerbstypen auf. Strategien beim Erwerb des russischen und deutschen Genus (am Beispiel mehrsprachiger Kinder).
Als Beitrag zur formalen Linguistik befassten sich Dorothee Fehrmann, Uwe Junghanns und Denisa Lenertová (Leipzig) in ihrem Vortrag zur »Was zu sehen und zu hören ist: Infinitiv-artige Perzeptionsprädikate« Prädikaten, die in Sätzen mit einer Kopula gebraucht und modal interpretiert werden (z.B. Cz Je vidět Sněžku/-a). Diese Prädikate zeigen bislang kaum beachtete Unterschiede hinsichtlich des an ihrem internen Argument realisierten Kasus (Ru, Ukr, Po: Akk; Wru: Nom; Cz: Akk/Nom). Die ReferentInnen betrachten die Prädikate als Instanzen einer lexikalischen Kategorie »Prädikativ«. Diese ist Ergebnis einer Konversion, in deren Zuge sich Argumentstruktur und Bedeutung verändert haben. Die beobachteten morphologischen Kasus erklären sich letztlich aus unterschiedlichen kategorialen Merkmalen des Prädikativs. Als Ergebnis der Untersuchung konnten eine einheitliche syntaktische Analyse vorgeschlagen und die Details entsprechender semantischer Repräsentationen ausgeführt werden. »Semantische Disambiguierung von false friends in der Drittsprache: die Rolle des Kontexts« lautete der Beitrag von Christof Heinz (Wien). Er beschäftigte sich dem allgemeinen Problem der Transferdidaktik und der innerslavischen Interkomprehension im Besonderen, dass es beim Phänomen der false friends zum Transfer von nichttransferierbaren Elementen (Übertransfer) kommen kann. Der Beitrag zeigte, dass es bei ausreichendem Kontext dennoch möglich ist, die Inadäquatheit der vermuteten Bedeutung in der Drittsprache zu erkennen und die konkurrierenden Bedeutungen zu disambiguieren. Dies wurde vergleichend anhand mündlicher und schriftlicher Verstehenstests mit slavischen Drittsprachen demonstriert. Semantische Disambiguierung von false friends in slavischen L3: die Rolle des Kontexts.
Beatrix Kreß (Frankfurt am Main) beschrieb den ökologischen Diskurs in jenem Buch, mit dem sich der tschechische Präsident Václav Klaus in die Klimadebatte einschaltete: »Modrá, nikoli zelená planeta. Co je ohroženo: klima nebo svoboda? Der ökologische Diskurs von Václav Klaus”. Eine erste Analyse der von Klaus verfolgten Argumentationslinien und der dem politischen Gegner zugeschriebenen Merkmale wie auch der Selbstattribuierungen zeigte, dass sich der tschechische Präsident zum einsamen Vorkämpfer eines Gegendiskurses stilisiert und aus dem von ihm so bezeichneten enviromentalism eine Erscheinung formt, die das alte Feindbild »Kommunismus« beerbt. »Modrá, nikoli zelená planeta. Co je ohroženo: klima, nebo svoboda?« Der ökologische Diskurs von Václav Klaus.
Holger Kuße (Dresden) nahm die in den letzten Jahren intensiv angestiegene Bautätigkeit in Moskau (und ähnlich St. Petersburg, Kiev, Minsk und anderen Großstädten der Sowjetunion-Nachfolgestaaten) zum Anlass einer Untersuchung der russischen Immobilienwerbung, insbesondere für Elite-Wohn- und Büroobjekte in monumentalen Hochhäusern (z. B. der Moskva-City): »Hoch hinaus – Immobilienbau und Immobilienlob in Moskau«. Die Autonomie der Objekte, die vom Kindergarten bis zum Tennisplatz »Städte unter einem Dach« darstellen, erlaubte einen Vergleich der Werbung mit Formen der schon antiken Gattung des Städtelobs. Es zeigte sich, dass wie in dieser rhetorischen Gattung LOBEN ein Effekt von BESCHREIBEN ist und selbst bei Prestigeobjekten die Werbetexte überraschend wenig explizite Evaluativa aufweisen. Hoch hinaus – Immobilien und Immobilienwerbung in Moskau.
Roland Meyer (Regensburg) wandte sich einem sprachgeschichtlichen Phänomen des Russischen zu: »История без субъекта: Zur Geschichte des Pro-drop im Russischen«. Die so genannte Pro-Drop-Eigenschaft – die Nichtrealisierung pronominaler Subjekte finiter Verben – wird häufig mit dem morphologischen Reichtum des Verbalparadigmas in Verbindung gebracht. Dafür scheint auch die Geschichte des Russischen zu sprechen: Mit der Zunahme der Synkretismen bei den Vergangenheitsformen nahmen die Nullsubjekte ab. Wie allerdings Roland Meyer anhand einer Stichprobenanalyse eines digitalen Korpus alt- und mittelrussischer Texte zeigen konnte, ging nach der Durchsetzung des bloßen l-Partizips der Anteil an Nullsubjekten keineswegs sofort zurück. Die Weiterentwicklung des Pronominalsystems muss also als eigener Einflussfaktor betrachtet werden. Zur Geschichte des referentiellen Nullsubjekts im Russischen
Claudia Richter (Dresden) widmete sich den intensiv geführten Debatten um tschechische Sprachpflege und Sprachkultur in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, an denen auch zahlreiche Schriftsteller beteiligt waren: »Chvála řeči české – Bewertung von Sprache und Sprachpflege durch Schriftsteller in der Ersten Republik«. In ihren Bewertungen von Sprache und den herrschenden Sprachpflegeauffassungen spiegeln sich sowohl puristische als auch progressive Wertorientierungen. Sie zeugen damit von der »Sonderrolle« der Schriftsteller nicht nur in dieser Phase der tschechischen Kulturentwicklung. Claudia Woldt: Chvála řeči české – Bewertung von Sprache und Sprachpflege durch Schriftsteller in der Ersten Republik.
Unter dem Titel »Пункт Zero oder Беларусская Атлянтыда: Etüden aus dem weißrussischen Diskurs« beschrieb Marina Scharlaj (Dresden) anhand essayistischer Texte aus der neueren weißrussischen Literatur Symbole und Metaphern des weißrussischen Raums. Im Dreischritt der Abfolge symbolischer Formen bei Ernst Cassirer (Mythos, Sprache, Erkenntnis) wurden Sprache thematisierende Äußerungen von der Mythisierung über die Typologie des »Kleinen« bis hin zu Symbolen und Metaphern in Untergangsszenarien des Weißrussischen vorgestellt. Von einem ›weißen‹ Land und seiner Sprache (Beispiele aus dem metasprachlichen Diskurs über das Weißrussische).
Szymon Slodowicz (Kiel) überprüfte für das Polnische die Unterscheidung von Kontroll- und Hebungsverben bei Verben, die mit infinitiven Phrasen kombiniert werden können. In seinem Beitrag »Kontroll- und Hebungsverben im Polnischen« zeigte er anhand von Daten aus dem IPI PAN Korpus, dass eine differenziertere Einteilung von solchen Verben notwendig ist. Der Semantik und der semiotischen Interpretation syntaktischer Strukturen war der Vortrag »›Parenthesen‹ als Indices« gewidmet, in dem Barbara Sonnenhauser (München) parenthetisch verwendete sprachliche Einheiten als funktionale Indices darstellte. Als Indices verweisen Parenthesen auf den sie umgebenden Satz, der als Komplement zu betrachten ist. Parenthesen sind damit ein Beispiel für Indexikalität – verstanden als Differenzmarkierung – als grundlegendes Strukturprinzip von Sprache. ›Parenthesen‹ als Indices.
Olena Stepanenko (Dresden) sprach über »Neue Tendenzen in der russischen und ukrainischen Werbung«. Diese Tendenzen wurden im Verhältnis zur Rechtslage nach den aktuellen Werbegesetzgebungen, die die Gesellschaft vor »aggressiver, unethischer, unlauterer und irreführender Werbung« schützen sollen, erläutert. Die praktische Seite besonders des neuen russischen Werbegesetzes wurde an mehreren Beispielen demonstriert und dabei besonders der Frage nachgegangen, inwiefern die Mechanismen der gesetzlichen Regelung den derzeitigen Bedürfnissen des Marktes entsprechen. Im Vortrag »Obviation und temporale Abhängigkeit bei Subjunktiven« von Luka Szucsich (Berlin) wurde anhand polnischer und russischer Daten das Phänomen der obligatorisch disjunkten Referenz (Obviation) des Subjekts eines volitionalen Matrixsatzes und des Subjekts seines subjunktiven Komplements (durch rus. čtoby, pol. żeby eingeleitet) untersucht. Dieses Phänomen zeigte sich als eng mit jenem der temporalen Abhängigkeit verwoben, aber auch als abhängig von der Selektionsinformation des Matrixverbs. Obviation und temporale Abhängigkeit bei Subjunktiven.
Katarzyna Wisniewiecka-Brückner (Gießen) sprach zum Thema »Die polnische Sprache im Spannungsfeld von Sprachpolitik, Sprachkultur und Sprachrealität« und gab unter anderem einen Überblick über die derzeit in Polen vorhandene Sprachratgeberliteratur, die einen wesentlichen Teil der polnischen Sprachpolitik darstellt und besprach mögliche Methoden zur vergleichenden Untersuchung von kritisiertem und tatsächlichem Sprachgebrauch. Zeitschrift für Slawistik 53 (2008) 1, 110–112. doi:10.1524/slaw.2008.0008 |