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Sie sind hier: Homepage → Treffen → jusla-19 XIX. JungslavistInnen-Treffen 2010 in BerlinLinguistische Beiträge zur Slavistik: XIX. JungslavistInnen-Treffen in Berlin, 16.–18. Dezember 2010. Hg. Luka Szucsich, Natalia Gagarina, Elena Gorishneva und Joanna Leszkowicz. München, Berlin, Washington: Sagner 2012 (Specimina Philologiae Slavicae, 171). 255 Seiten. ISBN: 978-3-86688-328-4 (Bestellnummer: 3171). Tagungsbericht von Luka SzucsichVom 16. bis zum 18. September 2010 fand an der Humboldt-Universität zu Berlin das 19. Jahrestreffen der JungslavistInnen statt. Dieser Arbeitskreis sprachwissenschaftlich arbeitender SlavistInnen trifft sich seit 1992, um aktuelle Forschungsarbeiten der Mitglieder in Workshopatmosphäre vorzustellen und zu diskutieren. Traditionell wird aus slavistischer Perspektive eine große Bandbreite verschiedener Themen und theoretischer wie methodischer Ansätze behandelt; so auch beim 19. Jahrestreffen. Zu den vorgestellten Arbeiten zählten mehrere diskurstheoretische Beiträge, Vorträge zur Syntax und Morphosyntax slavischer Sprachen, Untersuchungen zur Aspektologie und einzelne Beiträge zur Sprachverarbeitung und zur Zweischriftigkeit. In ihrem Vortrag »Genitivsubjekt der Negation im Russischen und Belarussischen« ging Alena Bazhutkina (München) auf die Opposition Nominativ-/Genitivsubjekt in negierten Existenz- und Lokativsätzen ein. In Anlehnung an einschlägige Untersuchungen wurde versucht, die Kasusalternation als semantisch motiviert darzustellen und Erklärungen für mögliche Abweichungen zu liefern. Dabei wurde eine Klassifikation von Konstruktionen vorgenommen, die sich in ihrer Disposition für ein Genitivsubjekt unterscheiden. Sabine Borovanská (Frankfurt am Main/Dresden) stellte in ihrem Vortrag »Rechtfertigung in der Interaktion: Face-Work und das Recht auf Rechtfertigung« dar, wie eine Rechtfertigung als Reaktion auf einen Vorwurf als Face-bedrohender Akt die Beziehung der Interaktanten beeinflusst. Werden das Recht und die Pflicht eines Sprechers zur Rechtfertigung anerkannt, steht er vor der Aufgabe, sein eigenes Face sowie das des Vorwerfenden zu wahren. Das Bemühen um Face-Wahrung drückt sich auch auf propositionaler Ebene aus, u.a. durch den Verweis auf Umstände (ausgedrückt durch nel’zja). Natalia Brüggemann (Hamburg) nahm in ihrem sprachdidaktisch ausgerichteten Vortrag »Russischer Aspekt. Kontrastive Analyse und Vermittlung der Kategorie im Sprachunterricht« zunächst eine russischdeutsche kontrastive Analyse der Kategorie Aspekt auf lexikalischer, morphologischer, syntaktischer und textueller Ebene vor. Anschließend wurden die Ergebnisse einer Untersuchung zum Verständnis des Begriffs Aspektpaar präsentiert, bei der Probanden aus Russland und Hamburger Studenten teilgenommen haben. Daniel Bunčić (Tübingen) schlug in seinem Vortrag »Zweischriftigkeit in der Slavia: Schreiben ›zwischen Ost und West‹« ein soziolinguistisches Modell für eine Typologie der Zweischriftigkeit vor, das einen Weg aus dem terminologischen Chaos weisen und Erklärungsansätze für dieses von der Sprachwissenschaft bisher vernachlässigte Thema bieten soll. Anhand des heutigen Serbisch, des ›dreischriftigen‹ Kroatischen vor dem 19. Jh., des Weißrussischen (Anfang 20. Jh. kyrillisch vs. lateinisch; Ende 20. Jh. Narkomaŭka vs. Taraškevica) demonstrierte er die Vielfalt der zweischriftigen Sprachsituationen in der Slavia. Eine Studie zum »Parallelismus als Anaphernresolutionsmechanismus im Russischen« stellte Natalia Gagarina (Berlin) vor. Untersucht wurden strukturelle Kriterien für satzübergreifende Anaphernresolutionen (Sprachverstehen) im Russischen und die mögliche Rolle des sog. Parallelismus für dieselben. Es wurde gezeigt, dass Kinder und Erwachsene einen syntaktischen Parallelismus (ähnliche syntaktische Rolle des Antezedens und der Anapher) als Resolutionsmechanismus unter bestimmten Bedingungen verwenden, nämlich in Diskursen mit streng parallelen Strukturen. Elena Gorishneva (Berlin) behandelte in ihrem Beitrag »Zum Gebrauch des perfektiven Aspekts in generischen Aussagen« den Ausdruck der induktiven vs. nicht-induktiven Generalisierungen im Russischen und Bulgarischen. Es wurde gezeigt, dass Distinktionen zwischen den beiden Typen von generischen Aussagen sowohl im nominalen Bereich mittels der Form der NP als auch in der verbalen Domäne mithilfe der Aspektmarkierung kodiert werden können.
Christof Heinz (Regensburg) untersuchte in seinem Vortrag »Co mám psát, když nemám co říct? – Eine tschechische und eine deutsche Konstruktion im Vergleich« die Konstruktion haben + Fragepronomen/Indefinitpronomen + Infinitiv in beiden Sprachen auf etwaige Übereinstimmungen und Unterschiede. Im Mittelpunkt standen v. a. die Möglichkeiten der lexikalischen Füllung der einzelnen Positionen und das Spektrum der Konstruktionsbedeutungen. Ziel war es, die Wahrscheinlichkeit, die für zwischensprachlichen Einfluss als Ursache für Parallelentwicklungen spricht, abzuschätzen. Katharina Klingseis (Wien) untersuchte im Vortrag »Russischer Glamour – »Lustpraxis«, »Glückstechnik«? Eine diskursanalytische Annäherung und ein psychoanalytischer Deutungsversuch« die Glamour-Kultur der heutigen russischen Großstadtmittelschicht aus der Perspektive ihrer alltäglichen Kleidungspraxis, die in 60 Leitfadeninterviews erhoben wurden. Die glamourösen Vorstellungen/Praktiken stellen das imaginäre Verhältnis dar, das Mittelschichtvertreter/innen unter der Regie der hegemonialen ›Status‹-Ideologie zu ihren spezifischen Existenzbedingungen unterhalten, die von enormen Leistungsanforderungen im Arbeitsleben und großer Unsicherheit über die Zukunft geprägt sind. Beatrix Kreß (Hildesheim) untersuchte im Vortrag »Selbst- und Fremdstilisierungen durch Kohärenzherstellung in russischsprachigen politischen Chatgroups« auf gesprächsanalytischer Basis, ob interaktive Formen der computervermittelten Kommunikation mit dem Begriff der konzeptionellen Mündlichkeit erfasst werden können. Im Vordergrund stand das medial verfügbare Potential zur Selbststilisierung bzw. -positionierung im politischen Kontext im Hinblick auf eine kohärente Selbstdarstellung. Das sprachliche Handeln erschöpft sich dabei nicht in der Imitation von Mündlichkeit in verschrifteter Form; vielmehr kann man von einer neuen kommunikativen Gattung sprechen. Holger Kuße (Dresden) widmete sich unter dem Titel »Raum als axiologische Metapher« dem weiten Raum als zentralem Wert der nationalen Selbstfindung in Russland, der neben einer geografischen Gegebenheit auch metaphorisch als weite russische Seele den russischen Charakter bezeichnet. Das Attribut weit tritt in metaphorischen wie nichtmetaphorischen Kollokationen im Russischen hochfrequent auf und ist als ›feste‹ Sprache-Kultur-Relation interpretierbar ist. Diskursgeschichtlich erweist sich diese axiologische Metaphorisierung und Autostereotypisierung jedoch als Resultat des bei den Slavophilen einsetzenden Diskurses zum russischen Charakter und zur Bedeutung Russlands im Verhältnis zu Westeuropa. Joanna Leszkowicz (Berlin) untersuchte im Vortrag »Die linke Satzperipherie im Polnischen aus der Perspektive der generativen Grammatik« das Phänomen der mehrfachen Besetzung des linken Feldes. Die Tatsache, dass im linken Feld mehrere Konstituenten vorkommen können, hat zur Folge, dass das klassische CP-System zur Beschreibung und Analyse des polnischen Satzes nicht ausreicht. Im Rahmen der Diskussion der Anwendbarkeit von Rizzis Modell auf das Polnische wurde die These vertreten, eine eingeschränkte Aufspaltung von CP zuzulassen. Mit Sprachwandel im Bereich der Argumentstruktur befasste sich Roland Meyer (Regensburg) in seinem Beitrag »Reflexive Passiva/Impersonale in der Diachronie des Polnischen und Tschechischen«. Auf der Basis historischer Korpora zeigte er, wie sich reflexive Verbformen über dekausative Lesarten hin zu echten Passiva und dann weiter zu den heutigen unbestimmt-persönlichen Formen entwickelten, und diskutierte die relevanten syntaktischen und semantischen Begleitumstände dieses Prozesses. Hagen Pitsch (Göttingen) diskutierte in seinem Vortrag »Zur Syntax und Semantik von Modalprädikativa« deren kategoriale Zuordnung. Es wurde demonstriert, dass sich ihre argumentstrukturellen Eigenschaften erklären lassen, indem man sie als durch ein subklassifizierendes kategoriales Merkmal [+Praed] in ihrer Verwendung eingeschränkte [+V,+N]-Elemente behandelt. Damit wird die traditionelle Kategorisierung (Adverb) mit der ›neueren‹ (Prädikativum) verbunden, ohne dass eine von beiden als völlig unzutreffend gelten kann. Marina Scharlaj (Dresden) präsentierte in ihrem Beitrag »Chozjain v dome. Die Gestalt(ung) Lukašenkos in den Medien« Bilder und Metaphern, die in den Medien sowohl offizieller als auch oppositioneller politischer Gesinnung um die Person von Lukašenko kursieren. In den Blick wurden die Inszenierungsmuster genommen, die im Metaphernnetzwerk »Familie« liegen und den weißrussischen Präsidenten als Vater der Nation stilisieren. Im Beitrag »Der sog. ›schwachregierte Akkusativ‹ als struktureller Kasus« widmete sich Luka Szucsich (Berlin) akkusativischen NPn, die kanonischer Weise nicht als Objekte analysiert werden (v. a. durative Adverbiale wie ru. целый день). Der Akkusativ wird dabei als struktureller Kasus analysiert, auch wenn es sich bei den untersuchten NPn in erster Linie um Adjunkte handelt. Der Apparat der strukturellen Kasuslizenzierung in der generativen Grammatik wurde zu diesem Zweck in restriktiver Weise modifiziert. Claudia Woldt (Dresden) untersuchte im Vortrag »Zum Verhältnis von Normativität und Modalität in russischen rechtsphilosophischen Texten« Zusammenhänge zwischen philosophisch-praktischen Normativitätstheorien und linguistischen Konzeptionen von Modalität mit den Bedeutungen epistemisch, alethisch, deontisch und analysierte auf der Basis einer eigenen normativitätstheoretisch-linguistischen Konzeption die Verwendung der Modalitätsmarker должен, нужен, надо, нельзя und мочь in Texten, die selbst wiederum Normativität thematisieren. Ergebnis ist eine Typologie von Normativitätsgraden (von schwach bis stark), die mit der Verwendung einzelner der genannten Marker korrespondieren. Luka Szucsich: Tagungsbericht des 19. JungslavistInnen-Treffens (Berlin, 16.-18. September 2010).
In: Zeitschrift für Slawistik 56 (2011) 2, 237–239.
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