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XX. JungslavistInnen-Treffen 2011 in Würzburg

Linguistische Beiträge zur Slavistik: XX. JungslavistInnen-Treffen in Würzburg, 22.–24. September 2011. Hg. Elena Dieser. München, Berlin, Leipzig, Washington/D.C.: Biblion Media 2015 (Specimina Philologiae Slavicae, 186). 209 Seiten. ISBN: 978-3-86688-575-2 (Bestellnummer: 3186; eBook: 3186e).

Inhalt

Name Titel Seite
Elena Dieser Tagungsbericht
Elena Dieser Vorwort 5
Alena Bazhutkina Possessivkonstruktionen mit haben und sein im Belarussischen und im Russischen
Natalia Brüggemann Russischer Aspekt. Kontrastive Analyse und Vermittlung der Kategorie im Sprachunterricht
[erst in diesem Band erschienener Beitrag vom 19. JungslavistInnen-Treffen]
9–27
Daniel Bunčić ›Diastratische Diglossie‹ im Russland des 18. Jahrhunderts oder: Wann wurde Kirchenslavisch zur Fremdsprache?
[Vortragstitel: Zweischriftigkeit in Russland im 13. und 18. Jahrhundert: standartnaja vs. bytovaja orfografija, cerkovnyj vs. graždanskij šrift]
29–45
Christina Clasmeier Zum Umgang des mentalen Lexikons mit aspektuellen Simplicia und Derivaten im Russischen
Elena Dieser Grammatische Varianten im Russischen: Gebrauch und Sprecherurteile
[Vortragstitel: Zweifelsfälle der russischen Grammatik: Sprecherurteile und Gebrauch]
47–69
Elena Gorishneva Über die sekundären Funktionen des Indefinitheitsmarkers ein in slawischen und nicht-slawischen Sprachen
[Vortragstitel: Indefinite NPn im Bulgarischen (Bare NPs vs. edin-NPs in Bulgarian)]
71–95
Christof Heinz Zwischen Ignorieren und Imaginieren: phonologischer Hörtransfer zwischen slavischen Sprachen
[Vortragstitel: Zwischen Ignorieren und Illusion – Probleme der phonetischen Rezeption slavischer Drittsprachen]
97–115
Katharina Klingseis Delovye ljudi Urala – Ein Reisebericht in Bildern und Biografien
Joanna Leszkowicz Scrambling im Polnischen als A-bar-Bewegung 117–133
Polina Maier Zitate in der Erklärungslegende zu der Ikone Gekreuzigter Seraph
Dionisi Nikolov Strategien der Selbstdarstellung russischer Unternehmen auf deren Internetseiten
Hagen Pitsch Verbstämme im modernen Russischen und Jakobsons Vollstammsystem
[Vortragstitel: Verbstämme, Kopula und Tempusauxiliare im modernen Russischen: Versuch einer morphologischen Analyse]
135–158
Luka Szucsich und Hubert Haider Freie Wortstellung in slavischen Sprachen und die VO/OV-Unterscheidung
[Titel des Vortrags von Luka Szucsich: Russische Wortstellung und Wortstellungstypologien]
159–189
Claudia Woldt Argumentation und Modalität: Zur normativen Funktion von ›nur‹ im Diskurs 191–209

Tagungsbericht von Elena Dieser

Vom 22. bis 24. September 2011 fand an der Universität Würzburg das 20. JungslavistInnen-Treffen statt, an dem dreizehn Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre aktuellen Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Bereichen der slavistischen Linguistik vorstellten. Die Themenschwerpunkte reichten von der Syntax und Morphologie slavischer Sprachen über die Diskursanalyse und Psycholinguistik bis hin zu Zweischriftigkeit, slavischer Interkomprehension und Kulturwissenschaft.

In ihrem Vortrag »Possessivkonstruktionen mit haben und sein im Belarussischen und im Russischen« behandelte Alena Bazhutkina (München) die sogenannte prädikative Possession. In Anlehnung an Bondarko (1996) wurde die unterschiedliche Perspektivierung der Possessor-Possessum-Relation in belarussischen und russischen haben- und sein-Konstruktionen diskutiert. Anhand eines kleinen Korpus wurde der Versuch unternommen, einen Zusammenhang zwischen der Art der Possession und der Wahl der Konstruktion festzustellen.

Daniel Bunčić (Tübingen) ging in seinem Beitrag »Zweischriftigkeit in Russland im 13. und 18. Jahrhundert« zum einen auf die Situation im mittelalterlichen Novgorod ein, wo die standartnaja orfografija in Pergamenthandschriften, in Birkenrindenbriefen aber eine bytovaja orfografija benutzt wurde. Dabei stellte er eine neue, über Zaliznjak hinausgehende Theorie zur Entstehung der bytovaja orfografija vor. Zum anderen behandelte er die Parallelität von cerkovnyj und graždanskij šrift in dem halben Jahrhundert nach der Alphabetreform Peters I. und argumentierte dafür, dass der Übergang von der Diglossie zum Bilinguismus, den Uspenskij auf die Mitte des 17. Jahrhunderts datiert, erst rund ein Jahrhundert später vollendet wurde.

Christina Clasmeier (Bochum) stellte in ihrem Vortrag »Zum Umgang des mentalen Lexikons mit aspektuellen Simplicia und Derivaten im Russischen« zunächst Modelle und Methoden zur Erforschung der Repräsentation komplexer Wortformen im mentalen Lexikon vor. Dann berichtete sie vom Untersuchungsdesign und den ersten Ergebnissen eines von ihr in Russland durchgeführten Experiments zur Rezeption verschiedener Aspektformen. Die Reaktionszeiten in Bezug auf eine formale Aufgabe deuten u.a. auf Verarbeitungsunterschiede zwischen suffigierten (z.B. otkryvat’) und präfigierten (z.B. poprosit’) Derivaten hin.

Elena Dieser (Würzburg) präsentierte in ihrem Vortrag »Zweifelsfälle der russischen Grammatik: Sprecherurteile und Gebrauch« einige Kasusvarianten des Russischen, bei denen sich Muttersprachler häufig unsicher sind, ob diese standardsprachlich korrekt wären. Den experimentell erhobenen Grammatikalitätsurteilen wurde der Gebrauch solcher Formen in unterschiedlichen funktionalen Varietäten des Russischen gegenübergestellt und es wurde über mögliche Ursachen für die Entstehung von Kasusvarianten nachgedacht.

Elena Gorishneva (Berlin) setzte sich in ihrem Beitrag mit den Funktionen des Indefinitheitsmarkers ein in slavischen und nicht-slavischen Sprachen auseinander. In erster Linie wurden in dieser Hinsicht das Bulgarische und das Russische untersucht. Im Fokus dieser Studie stehen die eher irregulären Verwendungsweisen von edin bzw. odin als Intensifikator oder restriktive Fokuspartikel. Zum Vergleich werden auch nicht-slavische Sprachen herangezogen, die einen ähnlichen Gebrauch des Zahlworts und Artikels aufweisen.

Im Vortrag »Zwischen Ignorieren und Illusion - Probleme der phonetischen Rezeption slavischer Drittsprachen« von Christof Heinz (Regensburg) wurden Ergebnisse eines Perzeptionstests mit Sprechern unterschiedlicher slavischer Sprachen vorgestellt. Dabei lag der Fokus auf Verstehensblockaden, die durch fehlerhafte Lautidentifikation verursacht sind. Nach einem Überblick über verschiedene Modelle zur fremdsprachlichen und besonders zur tertiärsprachlichen Sprachrezeption wurden einige Beispiele für misperceptions auf segmentaler wie auf segmentüberschreitender Ebene diskutiert. Ziel war eine mögliche Klassifikationen der Perzeptionsfehler sowie deren Erklärung durch das Bemühen, Lücken im wahrgenommenen Input durch Kontextinferieren zu überbrücken.

Abgesehen von kleinen Porträts von Unternehmerinnen und Unternehmern, welchen Katharina Klingseis (Wien) auf einer einmonatigen Feldforschungsreise nach Ekaterinburg im Juli 2011 begegnete, berichtete sie in ihrem Beitrag »Деловые люди Урала. Ein Reisebericht in Bildern und Biografien.« auch von Glücksfällen und Hindernissen der Datenerhebung (Leitfadeninterviews) zur Erstellung eines Textkorpus aus dem »wirklichen Leben«, das ihr zu einer Diskursanalyse der Dress-Codes in russischen Unternehmen dienen wird.

Ziel des Beitrags von Joanna Leszkowicz (Berlin) war, das Phänomen des Scrambling im Polnischen näher zu untersuchen. Denn unabhängig davon, wie angemessen der Begriff »freie Wortstellung« ist, steht außer Zweifel, dass es im Polnischen möglich ist, Konstituenten innerhalb eines Satzes in anderen Positionen zu generieren. Im Vortrag wurde der Frage nachgegangen, ob Scrambling als Bewegung oder Basisgenerierung anzusehen ist. Im Rahmen der Diskussion unterschiedlicher Forschungspositionen wurde dafür argumentiert, Scrambling im Polnischen als eine A-bar-Bewegung anzusehen.

Polina Maier (Würzburg) nahm in ihrem Vortrag »Zitate in der Erklärungslegende zu der Ikone Gekreuzigter Seraph« die Rolle des Zitats und seiner Valenz in einer handschriftlichen Legende in den Blick, die den ikonographischen Typus "des Gekreuzigten Seraphs" erklärt. Die als primär geltenden Fragen – nach der Identifikation der Zitate, der Beschreibung ihrer Struktur und der Bestimmung des semantischen und funktionellen Status – lassen den durch Zitate in den Text mitgebrachten Sinn analysieren. Das Hauptanliegen dieser Arbeit besteht darin, durch die sprach- und literaturwissenschaftliche Analyse der Zitate in einem konkreten Werk ihre Bedeutung für theologische, kunst- und kulturgeschichtliche Diskurse zu zeigen.

In seinem Beitrag setzte sich Dionisi Nikolov (Wien) mit den »Strategien der Selbstdarstellung russischer Unternehmen auf deren Internetseiten« auseinander. Dabei wurde untersucht, welche inhaltlichen Motive die ausgewählten Unternehmen bei ihrer Selbstdarstellung kommunizieren, sowie wie diese Inhalte sprachlich realisiert werden.

Hagen Pitsch (Göttingen) unternahm in seinem Vortrag »Verbstämme, Kopula und Tempusauxiliare im modernen Russischen« den Versuch, die russische Verbstammanalyse Jakobsons (1948) auf eine Lexikontheorie im Geiste Bierwischs (1988, 1997 u.a.) anzuwenden. Jakobsons Analyse unterscheidet sich grundlegend vom traditionellen "Zwei-Stämme-Modell". Es zeigte sich, dass sie die meisten "unregelmäßigen" Ableitungen regulär erklärt und eine Formalisierung erlaubt. Es wurden Annahmen zur Struktur des Lexikons gemacht, denen zufolge sich frequente Formen als voll spezifizierte Lexikoneinträge stabilisieren können, auf die effizienter zugegriffen werden kann.

Luka Szucsich (Berlin) diskutierte in seinem Vortrag »Russische Wortstellung und Wortstellungstypologien« Eigenschaften von Sprachen, die mit der Stellung vom Verb zu seinem Komplement/direkten Objekt (OV vs. VO) zu korrelieren scheinen. Hierzu zählt auch die freie Wortstellung (Scrambling), die häufig OV-Sprachen zugeschrieben wird. Das Russische verhält sich auch bei anderen Eigenschaften (z.B. der möglichen Intervention von Adverbien zwischen dem Verb und seinen Argumenten) wie eine kopffinale Sprache (OV).

Claudia Woldt (Dresden) untersuchte im Vortrag »Argumentation und Modalität: Zur normativen Funktion von ‘nur’ im Diskurs« die argumentative Funktion von ‘nur’ (только, лишь) in diskursiven Zusammenhängen und untermauerte die These, dass ‘nur’ und andere sog. Argumentationsoperatoren im Diskurs die Funktionen von Modalitätsmarkern übernehmen, d.h. in der Argumentation die aktuelle Bedeutung von Aussagen hin zu einer modal-normativen Bedeutung verändern können. Sie interagieren dabei sowohl mit Modalverben und -prädikativa als auch mit Bewertungsmitteln und tragen entscheidend zum Normativitätsgrad von (hier: politischen) Äußerungen bei.

Elena Dieser: Tagungsbericht des 20. JungslavistInnen-Treffens in Würzburg. In: Zeitschrift für Slawistik 57 (2012) 2, 232–233.
doi:10.1524/slaw.2012.0015

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