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XXX. JungslavistInnen-Treffen 2022 in Jena

vom 7. bis 9. September 2022 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Gehaltene Vorträge

Name Titel
Martina Berrocal Combining multidimensional and keyword analysis: A way to determining topic and register keywords. Analysis of Czech Parliamentary Speeches
Petr Biskup Deminutive Iterativa und sekundäre Imperfektiva
Julia Golbek Innere Organe in der Phraseologie. Polnisch, Russisch und Ukrainisch im Vergleich
Stefan Heck Derivation ukrainischer Bewegungsverben
Martin Henzelmann Beobachtungen zum Sprach- und Kulturkontakt in der Republik Moldau
Tobias-Alexander Herrmann Phonologische Gender Cues in polnischen Vornamen
Irenäus Kulik Sprachliche Authentizität populärer Musik: Zur Stellung der Germanismen in schlesischen Liedtexten
Tatjana Kurbangulova, Anna Ritter & Veronika Wald Sprachliche Kommunikation innerhalb und außerhalb der Kernfamilien: am Beispiel des Russischen als Herkunftssprache
Alisa Müller Interkomprehension: Eine Chance für das Belarussische
Nini Prenner Corošenka und Lukarona ‒ die Verarbeitung der Proteste von 2020 und der Corona-Pandemie in Belarus anhand von Memes
Marina Scharlaj Genderikonographien und (nationale) Identitätskonstruktionen im politischen Diskurs von Belarus
Katrin Schlund Frazeosxema frazeosxeme ‒ rozn': Zur (Un-)Möglichkeit der Klassifikation von Phraseoschemata

Tagungsbericht von Irenäus Kulik

„Die ‚JungslavistInnen’ sind ein Kreis von NachwuchswissenschaftlerInnen, die sich seit 1992 alljährlich im Herbst zu Arbeitstagungen treffen, um die Ergebnisse ihrer Forschung auf den verschiedensten Gebieten der slavistischen Sprachwissenschaft zu diskutieren.” (JuSla-Homepage) Nachdem aufgrund der COVID-19-Pandemie das Treffen im Jahr 2020 ausfiel und das 2021 in Bochum ausgerichtete 29. Treffen als Online-Tagung stattfand (Clasmeier 2022), erfolgte das Jenaer Treffen wieder in Präsenz.2 Gleichzeitig fand die Konferenz während des am 24. Februar 2022 begonnenen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine statt, der zum Tagungszeitpunkt bereits über ein halbes Jahr andauerte. Der Krieg und seine Konsequenzen waren auf dem Jenaer Treffen Gesprächsthema, worauf der Autor hier jedoch nicht näher eingeht.

Das Treffen der JungslavistInnen hat sich seit Gründung des Formats im Jahr 1992 durch Tilman Berger, Ursula Doleschal und Uwe Junghanns (Berger 1994) als ein Forum bewährt, in dem sich die Teilnehmenden in ungezwungener Atmosphäre austauschen können. Die Bandbreite der Themen spiegelt die Vielseitigkeit junger slawistischer Forschung wider. Die Tagungsbeiträge werden hier vereinfacht den Feldern der Diskurslinguistik, Genderlinguistik, Interkomprehensionsforschung, Kontaktlinguistik, Mehrsprachigkeitsforschung, Morphologie und Phraseologie zugeordnet, ohne dass sie sich darin erschöpften. Objektsprachen aus allen drei Subphyla der slawischen Sprachfamilie wurden untersucht, wenngleich das West- und insbesondere Ostslawische stärker repräsentiert waren als das Südslawische.

Martina Berrocal (Jena, Wien) erforschte in ihrem Beitrag „Combining multidimensional and keyword analysis: a way to determining topic and register keywords. Analysis of Czech Parliamentary Speeches“ die fruchtbare Verbindung zwischen der multidimensionalen Analyse und der Schlüsselwortanalyse als neuen methodischen Weg, um zwischen Themen- und Registerschlüsselwörtern zu unterscheiden. Auf diese Weise wird die Beschreibung von parlamentarischen Subregistern erweitert sowie die Methodik der Verwendung von Schlüsselwörtern in der Diskursanalyse bereichert.

Petr Biskup (Leipzig) diskutierte in seinem Vortrag „Deminutive Iterativa und sekundäre Imperfektiva“ die Relation zwischen deminutiven Iterativa und sekundären Imperfektiva im Russischen, Polnischen und Tschechischen. Er argumentierte dafür, dass deminutiv-iterative Verben von delimitativen po-Verben mit Hilfe des iterativen imperfektivierenden Suffixes gebildet werden. Dieses Suffix ist von dem homophonen progressiven (und habituellen) imperfektivierenden Suffix zu unterscheiden.

Julia Golbek (Bochum) referierte über „Innere Organe in der Phraseologie. Polnisch, Russisch und Ukrainisch im Vergleich“. Sie verglich Wörterbucheinträge für die drei Einzelsprachen, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Situationen und Emotionen, die die Phraseologismen beschreiben, herausgestellt wurden. Es konnte verschiedene Parallelen zwischen den Sprachen festgestellt werden.

Stefan Heck (Bochum) widmete sich in seinem Vortrag der „Derivation ukrainischer Bewegungsverben“. Nach einem Überblick über die unterschiedlichen Auswirkungen der Präfigierung determinierter bzw. indeterminierter Bewegungsverben betrachtete er mit Hilfe des General Regionally Annotated Corpus of the Ukrainian Language (GRAC) exemplarisch die synonymen sekundären Imperfektiva von pf. pryjichaty : ipf. pryjizdyty und ipf. pryjiždžaty. Diachron zeigt sich ein starker Anstieg von pryjiždžaty gegenüber pryjizdyty seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Regional differenziert zeigt sich, dass im 20. Jahrhundert im Westen schon weitgehend beide Varianten verwendet wurden, während in Kyjiv und noch stärker im Osten des Landes lange Zeit pryjizdyty häufiger war.

Martin Henzelmann (Greifswald) referierte zum Thema „Beobachtungen zum Sprach- und Kulturkontakt in der Republik Moldau“. Vor allem das Gagausische und das Bulgarische sind dort nach wie vor lebendige, wenngleich gefährdete Minderheitensprachen im Süden des Landes. Sie stehen in einem intensiven Sprachkontaktverhältnis zur dominanten russischen Umgebungssprache. Einige empirische Befunde, die dies belegen, wurden vorgestellt, um den Niederschlag des Russischen auf das bessarabische Bulgarisch zu exemplifizieren.

Tobias-Alexander Herrmann (Köln) hat in seinem Beitrag „Phonologische Gender Cues in polnischen Vornamen“ mittels eines statistischen Modells gezeigt, dass die phonologische Struktur polnischer Vornamen Gender kodiert, nämlich durch den Grad der Durchschnittssonorität sowie die Anzahl der Silben. Niedrige Sonorität einzelner Phoneme ist ein Hinweis auf das männliche, hohe Sonorität ein Hinweis auf das weibliche Geschlecht. Experimentell konnte gezeigt werden, dass diese Cues von Muttersprachler:innen internalisiert sind, da sie produktiv bei der Zuweisung von Geschlecht auf unbekannte Namen angewandt werden.

Irenäus Kulik (Jena) erörterte in seinem Vortrag „Sprachliche Authentizität populärer Musik: Zur Stellung der Germanismen in schlesischen Liedtexten“ die Frage, ob die deutschen Lehnwörter in rezenten schlesischen Liedtexten als Teil einer aktiven Lehnwortschicht angesehen werden können oder der artifiziellen Stilisierung, also zur Abgrenzung vom (Standard-)Polnischen dienen. Das untersuchte Textmaterial legt nahe, dass die Germanismen überwiegend den authentischen Gebrauch in der untersuchten Varietät widerspiegeln.

Tatjana Kurbangulova (Hamburg), Anna Ritter (Regensburg) und Veronika Wald (Regensburg, Bamberg) referierten über die „Sprachliche Kommunikation innerhalb und außerhalb der Kernfamilien: am Beispiel des Russischen als Herkunftssprache“. Im Rahmen des Vortrags wurden die Ergebnisse einer deutschlandweiten Online-Umfrage mit 142 Familien mit 263 Kindern (2–18 Jahre) präsentiert, in welcher der primäre Code innerhalb und außerhalb der Kernfamilie sowie der Sprachgebrauch in einzelnen Situationen und zu bestimmten Gesprächsthemen analysiert wurden.

Alisa Müller (Bamberg) Alisa Müller (Bamberg) hat in ihrem Vortrag „Interkomprehension: Eine Chance für das Belarussische“ die Rezeption des Interkomprehensionsansatzes in der Didaktik der slawischen Sprachen beleuchtet. Daraufhin gab sie einen Überblick über sprachliche Besonderheiten des Belarussischen, die sich in der Orthographie widerspiegeln. Diese wurden unter dem Aspekt bewertet, ob sie Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Methoden der Interkomprehension für das Belarussische darstellen könnten.

Nini Prenner (Gießen) referierte zum Thema „Corošenka und Lukarona – die Verarbeitung der Proteste von 2020 und der Corona-Pandemie in Belarus anhand von Memes“. Diese kleinen, meist humoristischen Bilder setzen ein umfangreiches Kulturwissen voraus, woraus intertextuelle bzw. „intergraphische“ Inhalte generiert werden können. Im Verlauf der Proteste von 2020 wurde ebenfalls auf diese zurückgegriffen. Im Vortrag wurden unterschiedliche Methoden zur inhaltlichen Analyse von Memes vorgestellt, zudem wurde die Inputquelle der Memes identifiziert. Außerdem wurde auf eine spezifische Besonderheit belarussischer Corona-Memes eingegangen, nämlich die „Vorherrschaft“ Lukašenkas in diesen sowie dessen Darstellung als Coronavirus.

Marina Scharlaj (Dresden) zeigte im Vortrag „Genderikonographien und (nationale) Identitätskonstruktionen im politischen Diskurs von Belarus“ den Zusammenhang von Gender- und nationalen Identitätskonstruktionen auf. Im Mittelpunkt standen einerseits metaphorische Konzeptualisierungen der belarussischen Nation als Frau und andererseits patriarchale und paternalistische Ikonographien des Staates, welche in literarischen, publizistischen, populär-medialen Texten tradiert werden und den politischen Diskurs formen. Entlang der binären Gendermetaphoriken sowie deren gegenwärtigen Umwertungen wurde die Diskursführung über das Belarussische und Belarus thematisiert und seine Modellierung im kulturlinguistischen Kontext besprochen.

Katrin Schlund (Halle) diskutierte in ihrem Vortrag „Frazeosxema frazeosxeme – rozn': Zur (Un-)Möglichkeit der Klassifikation von Phraseoschemata“ verschiedene Möglichkeiten der Klassifikation von Phraseoschemata (syntaktische Idiome) sowie deren Abgrenzbarkeit von anderen usuellen Wortverbindungen. Phraseoschemata sind rekurrierende Wortverbindungsmuster, die nur teilweise lexikalisch spezifiziert sind, z. B. [NNOM NDATrozn']. Obwohl vor allem in der russistischen Forschung eine vergleichsweise lange Tradition der Beschäftigung mit Phraseoschemata besteht, gibt es bisher kein Beschreibungskonzept, das eine systematische Erfassung relevanter Phänomene nach einheitlichen Kriterien und auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise erlaubt. Am erfolgversprechendsten erscheinen pragmatisch orientierte Ansätze, die Phraseoschemata und ähnliche Konstruktionstypen höherer oder niedrigerer Abstraktionsstufen anhand kommunikativer Parameter beschreiben und eine radiale, prototypenbasierte Kategorienstruktur annehmen.

Literaturangaben

Berger, Tilman. 1994. Vorwort. In Tilman Berger (Hrsg.), Linguistische Beiträge zur Slawistik aus Deutschland und Österreich. Jung-SlawistInnen-Treffen Wien 1992 (Wiener Slawistischer Almanach 33). Wien: Gesellschaft zur Förderung slawistischer Studien.

Clasmeier, Christina. 2022. Tagungsbericht zur 29. Tagung der Jungslavist:innen. Zeitschrift für Slawistik 67(2): 340–344. DOI: 10.1515/slaw-2022-0014

Irenäus Kulik: Tagungsbericht zum 30. Treffen der JungslavistInnen. Institut für Slawistik und Kaukasusstudien der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 08.–09.09.2022. Zeitschrift für Slawistik.

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