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XXI. JungslavistInnen-Treffen 2012 in Göttingen

Linguistische Beiträge zur Slavistik: XXI. JungslavistInnen-Treffen in Göttingen, 13.–15. September 2012. Hg. Hagen Pitsch. München, Berlin, Washington: Sagner 2014 (Specimina Philologiae Slavicae, 180). 217 Seiten. ISBN: 978-3-86688-476-2 (Bestellnummer: 3180; eBook: 3180e).

Name Titel Seite
Hagen Pitsch Tagungsbericht
Hagen Pitsch Vorwort 5
Alena Bazhutkina Die Konstruktion mecca + Infinitiv in der belarussischen Zeitung Naša Niva (1906–1915)
[Vortragstitel: mec’ als Modalauxiliar im Belarussischen]
9–30
Petr Biskup (Nicht-)Kompositionelle Präfixe im Polnischen 31–53
Alexander Böhnisch & Genia Böhnisch Der neue russische Vokativ als Sprachkontaktphänomen
[Vortragstitel: Der neue Vokativ im Russischen]
55–73
Daniel Bunčić Definitheit als ›verborgene Kategorie‹ im Russischen? 75–96
Elena Gorishneva Odin in der restriktiven Funktion
[Vortragstitel: Restriktives und intensivierendes odin]
97–118
Roswitha Kersten-Pejanić Sprachliches Doing Gender in Kroatien: Genderlinguistische Verhandlungen gestern und heute
[Vortragstitel: Sprachliches Doing Gender in Kroatien und Serbien gestern und heute (Ergebnisse einer Produktionsstudie zur sprachlichen Konventionalisierung von Gender im Kroatischen)]
119–136
Hagen Pitsch byt’ und Prädikatsnomina im Russischen: ein geschärfter Blick auf den »semantischen Ansatz«
[Vortragstitel: BYT’ und Prädikatsnomina im Russischen]
137–154
Marina Scharlaj Fuck.ru und andere Szenen des Obszönen
[Vortragstitel: Nackte Akte]
155–176
Barbara Sonnenhauser Wissen, kennen, können: znati als Modalverb im Slovenischen 177–197
Luka Szucsich Restriktionen bei mehrfacher Prä- und Suffigierung
[Vortragstitel: Restriktionen bei Prä- und Suffigierung]
199–217
Ivana Barkijević Aktuelle Entwicklungen in der kroatischen standardsprachlichen Lexik: Anglizismen und Jargonismen
Christina Clasmeier Linguistische Theorie trifft Intuition: Zur Einschätzung grammatischer Relationen durch Russischsprecher/innen
Elena Dieser Kasusvarianten im Russischen
Christof Heinz Differenz trotz Koinzidenz? Aspektgebrauch bei verba dicendi (in performativer Verwendung)
Joanna Leszkowicz Fokussierung im Polnischen

Tagungsbericht von Hagen Pitsch

Vom 13. bis 15. September 2012 fand am Seminar für Slavische Philologie der Universität Göttingen das 21. JungslavistInnen-Treffen mit aktuellen Arbeiten aus der slavistischen Linguistik statt. Es wurden fünfzehn Beiträge aus den Bereichen Aspektologie, Genderlinguistik, Kulturwissenschaften, Lexikologie, Morphologie, Psycholinguistik, Semantik, Sprachkontaktforschung sowie Syntax vorgestellt.

Alena Bazhutkina (München) betrachtete in ihrem Vortrag »Modales mec’ im Belarussischen« die modale Funktion des Verbs mec’, die für das moderne Belarussische eher untypisch ist und v. a. in Texten auftritt, welche die sog. Taraškevica verwenden. Es wurde versucht, die Arten der Modalität zu bestimmen, die die modale mec’-Konstruktion ausdrücken kann. Ferner wurde auf das reflexive mecca und seine Funktionen eingegangen.

Ivana Barkijević (Gießen) stellte in »Aktuelle Entwicklungen in der kroatischen standardsprachlichen Lexik: Anglizismen und Jargonismen« Resultate einer Untersuchung zur Internationalisierung und Demokratisierung im Kroatischen dar. Die Einstellungen der Sprachgemeinschaft, unterteilt nach sprachpflegerischen Instanzen und Sprachverwendern, wurden gegenübergestellt. Immer wieder kritisierte Einheiten wurden mit den empfohlenen Äquivalenten korpuslinguistisch untersucht und verglichen, woraus sich ein sehr heterogenes Bild ergab.

Petr Biskup (Leipzig) analysierte in »(Nicht-)Kompositionelle Präfixe im Polnischen« verschiedene Typen polnischer Präfixe. Er widmete sich sowohl dem Unterschied zwischen qualifizierenden und modifizierenden als auch zwischen kompositionellen und nicht-kompositionellen Präfixen. Dabei zeigte er, dass auch nicht-kompositionelle Präfixe keine einheitliche Klasse bilden, sondern in mehrere Gruppen zerfallen. Es wurden verschiedene Effekte der Präfigierung diskutiert sowie komplette syntaktische und semantische Derivationen von Sätzen mit präfigierten Verben präsentiert.

Alexander Böhnisch und Genia Böhnisch (Göttingen) beschäftigten sich in »Der neue russische Vokativ als Sprachkontaktphänomen« mit dem neuen russischen Vokativ im Kontext kurzer Vokativformen in anderen slavischen sowie in den baltischen Sprachen. Es wurde auf die Frage der Erscheinung des kurzen Vokativs als Sprachkontaktphänomen eingegangen.

Daniel Bunčić (Tübingen) versuchte in »Definitheit als ›verborgene Kategorie‹ im Russischen?« eine Widerlegung aller Ansätze, die verschiedenste Phänomene der russischen Grammatik durch Definitheit erklären. Mit Korpusbelegen zeigte er v. a., dass die Opposition zwischen den Wortstellungen NP–VP und VP–NP durch die Informationsstruktur bestimmt wird und die Wahl des Objektskasus bei Negation die Präsupponiertheit vs. Assertiertheit des direkten Objekts zum Ausdruck bringt, also nichts mit Definitheit zu tun hat, wie sie in Artikelsprachen funktioniert.

Christina Clasmeier (Bochum) thematisierte in »Linguistische Theorie trifft Intuition: Zur Einschätzung grammatischer Relationen durch Russischsprecher« die Aspektkorrelation russischer Verben. Die Ergebnisse eines psycholinguistischen Klassifikationsexperiments zeigen, dass Russischsprecher den semantischen Unterschied zwischen Aspektpartnern – z. B. (on) otkryl vs. (on) otkryval – für gering halten. Analysiert wurden Gedankenprotokolle, die zum einen Aufschluss darüber geben, worin die Probanden den Bedeutungsunterschied zwischen Aspektpartnern sehen, und zum anderen, als wie groß sie diesen Unterschied im Verhältnis zu anderen grammatischen und lexikalischen Relationen empfinden.

Elena Dieser (Würzburg) stellte in »Kasusvarianten im Russischen« Ergebnisse einer Studie zu Variationen in der Deklination russischer Substantive und Numeralia vor. Es wurde u. a. diskutiert, dass die Abgrenzung zwischen allgemein anerkannten Varianten und solchen, die als Verstoß gegen die Sprachnorm angesehen werden, in vielen Fällen umstritten und uneinheiltlich ist.

Elena Gorishneva (Berlin) widmete sich dem »restriktiven und intensivierenden Gebrauch des Indefinitheitsmarkers EIN«, der in verschiedenen, nicht verwandten Sprachen attestiert wird. Ausgehend vom Bulgarischen als prototypischem Fall der intensivierenden Verwendung von EIN und dem Russischen mit der prototypischen restriktiven Funktion des Indefinitheitsmarkers wurde eine Analyse im Rahmen der Alternativensemantik vorgeschlagen, die die beiden Verwendungsweisen von EIN als Ausprägungen derselben Funktion des Indefinitheitsmarkers behandelt, viz. der Funktion des Fokusmarkers.

Christof Heinz (Regensburg) thematisierte in »Differenz trotz Koinzidenz?« das bekannte Problem der Aspektverwendung von verba dicendi in performativer Lesart. Er stellte aspektologisch und pragmatisch orientierte Herangehensweisen gegenüber und fragte, ob die Behauptung der prinzipiellen Vertauschbarkeit der Aspekte ohne Bedeutungsverlust aufrechtzuerhalten sei. Eine an tschechischem Material durchgeführte Stichprobe ergab, dass insg. auch quantitativ kein Aspekt überwiegt, dass aber bei einzelnen Verben sowie bei verschiedenen Sprechakttypen z. T. deutliche Tendenzen zur Bevorzugung eines Aspekts erkennbar sind. Neben dem Sprechakttyp scheint auch der Grad der Direktheit auf den Aspektgebrauch einzuwirken.

Roswitha Kersten-Pejanić (Berlin) stellte in »Sprachliches Doing Gender in Kroatien und Serbien gestern und heute« Ergebnisse einer Studie zur sprachlichen Konventionalisierung von Gender im Kroatischen vor, die sie im Rahmen eines Forschungsprojekts an der HU Berlin erhoben hat. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, wie bestehende gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse durch den Sprachgebrauch (re)produziert, konventionalisiert und manifestiert werden.

Joanna Leszkowicz (Berlin) fragte in »Fokussierung im Polnischen« insbesondere danach, wo der Fokus bei diskontinuierlichen Konstituenten positioniert ist, und ob der Kontrastfokus bei aufgespaltenen Phrasen unbedingt an der linken Peripherie realisiert werden muss. Im Ergebnis ihrer Analyse kam sie zu dem Schluss, dass bei Fokussierung im Polnischen Bewegungsoperationen stattfinden müssen.

Hagen Pitsch (Göttingen) thematisierte in seinem Vortrag »BYT’ und Prädikatsnomina im Russischen« die Kasusvariation NOM vs. INS in russischen Kopulasätzen sowie die interne Struktur prädikativer Substantiv- und Adjektivphrasen. Für Kurz- und Langformadjektive wurden distinkte Argment- und Bedeutungsstrukturen vorgeschlagen, die für die Langformen inhärente Attributivität bedeuten, wofür die Langformsuffixe selbst verantwortlich gemacht werden.

Marina Scharlaj (Dresden) zeigte in »Nackte Akte« die Enttabusierungstendenzen der 1990er und 2000er Jahre auf, die sich sowohl in der russ. Kultur (Enthüllungen der Performance-Künstler A. Brener, O. Kulik), als auch Sprache (Texte von V. Sorokin, V. Pelevin, V. Erofeev u.  a.) beobachten lassen. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand die Deformierung der Verantwortungsästhetik der klassischen russ. Literatur sowie der Sinntotalität der Sowjetzeit und damit verbunden das Verlangen nach mehr Freiheit und Provokation.

Barbara Sonnenhauser (München) demonstrierte in »znati als Modalverb im Slovenischen«, dass znati als Verb der Wissenszuschreibung semantisch die Bereiche ‘wissen’, ‘kennen’ sowie ‘können’ abdeckt. Während sein Bedeutungsumfang in Texten des 19. und beginnenden 20. Jh. v. a. auf den Ausdruck von Fähigkeit beschränkt war, mit einigen Verwendungen als Modalitätsverb (‘wissen zu’), zeigt es in jüngerer Zeit auch epistemische Verwendungen. Dies wurde im Vortrag als Indiz für einen Grammatikalisierungsprozess interpretiert, in dessen Verlauf sich znati zu einem Modalverb entwickelt.

Luka Szucsich (Berlin) beleuchtete in »Restriktionen bei Prä- und Suffigierung« die morphosyntaktischen Eigenschaften unterschiedlicher verbaler Präfixtypen in slavischen Sprachen. Restriktionen sind hier in erster Linie syntaktisch-semantischer Art. Im Gegensatz dazu sind verbale Suffigierungen mit ähnlichen Funktionen in finno-ugrischen Sprachen wie den saamischen Sprachen in erster Linie morphonologischen Restriktionen ausgesetzt.

Hagen Pitsch: Tagungsbericht des 21. JungslavistInnen-Treffens (Göttingen, 13.–15.09.2012). In: Zeitschrift für Slawistik 58 (2013) 1, 107–108.
doi:10.1524/slaw.2013.0006

Zur Vorbereitung des Treffens hat Hagen Pitsch eine gesonderte Homepage angelegt.

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